Editorial 12/2024
Es gibt Zeiten, da tut sich nichts Wesentliches und alles scheint mehr oder weniger im Gleichgewicht zu verharren. Meistens ist das so. Und dann gibt es Momente, in der Regel nur alle paar Jahre oder gar Jahrzehnte, da scheint es, als wäre ein Kippschalter umgelegt worden und alles geriete aus den Fugen. In den letzten Wochen dürften wir genau einen solchen Kipppunkt – engl.: „tipping point“ – hautnah miterlebt haben.
Mit der Wahl Donald Trumps zum 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ist zweifelsohne ein neues Kapitel in der Weltgeschichte aufgeschlagen worden. Das aktuell mächtigste und wirtschaftlich potenteste Land der Welt wird, so alles seinen wie von der US-Verfassung vorgesehenen Lauf nimmt, ab Januar 2025 in vielerlei Hinsicht völlig andere und auch völlig unkonventionelle Wege einschlagen. Dem westlichen, meist links-rot-grün-woken Polit- und Presseestablishment bleibt da nur noch, sich die Augen zu reiben und im Zweifel noch mehr Gift und Galle zu speien, als es dies gegenüber Trump vorher bereits tat.
Die Ausläufer des Washingtoner Bebens reichten sogar über den Atlantik bis nach Berlin. Dort zerbrach wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck des US-Wahlergebnisses noch am selben Tag die hiesige Ampelkoalition in einer geradezu als unwürdig zu bezeichnenden Art und Weise. Seitdem trudelt das ehemals „mächtigste“ und wirtschaftlich potenteste Land der EU in gemächlichem Tempo weiter, aber nun eben führungslos, in den Abgrund – und die Rest-EU mit einigem Abstand hinterher.
Mit einer derart geschwächten EU werden Trump 2025 nicht viele Probleme entgegenstehen. Anders sieht es aber mit den großen Nationen des Globalen Südens aus – also Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika und anderen –, welche sich unter dem Akronym BRICS zusammengetan haben. Deren letztes Treffen im russischen Kasan nur zwei Wochen vor Trumps Wahl verdeutlicht, wie selbstbewusst und auch pragmatisch diese mittlerweile sind: Letztendlich geht es ihnen dabei um nicht weniger als um die Entdollarisierung des Welthandels.
In unserer Titelgeschichte „Alles anders!“ ab S. 36 nehmen wir uns die Ereignisse in Kasan, Washington und Berlin vor und analysieren die sich daraus ergebende Gemengelage. Flankierend dazu haben wir ab S. 58 mit dem Politikberater Dr. Daniel Hoffmann ein erhellendes und in seinen Aussagen ziemlich schonungsloses Interview geführt. Zudem werden Teilaspekte dieses monumentalen Themas auch noch in der Kolumne von Erich Hambach (S. 20) und im Interview mit Tanguy de Kerviler von der französischen Fondsgesellschaft Société de Gestion Prévoir behandelt (S. 34).
Weiterhin stellen wir sechs US-Aktien mit Dauerläuferqualitäten vor, welche durch Trumps neue Politik nur noch weiter beflügelt werden dürften (ab S. 6). Anders als in den USA liegt der deutsche Nebenwertebereich jedoch am Boden. Eine katastrophale Energiepolitik, eine überbordende Bürokratie und ein durch völlig falsche Bürgergeldanreize verursachter Personalnotstand machen insbesondere den kleineren Firmen hierzulande zu schaffen. Wir sehen uns diesen Sektor an und haben dabei einige interessante Firmen gefunden, die trotz aller Widrigkeiten ihr Erfolgsmodell weiter ausfahren können (S. 8). Die desolate Lage im Automobilzulieferersektor verdeutlichen wir Ihnen ab S. 12.
Eine kurzweilige Lektüre wünscht Ihnen
Ralf Flierl
Chefredakteur