Unterschätzter Standortfaktor Gesundheit

Carsten Mumm

ARTIKEL TEILEN

Facebook
Twitter
LinkedIn
Email

Kolumne

Gastbeitrag von Carsten Mumm, DONNER & REUSCHEL

In der Theorie sind Boden, Arbeit und Kapital die wesentlichen Produktionsfaktoren. Je gesünder die Bevölkerung, desto höher die Produktivität der Volkswirtschaft. Der Erhalt der Erwerbsfähigkeit ist zudem eine wichtige Voraussetzung, damit Menschen aus eigener Kraft für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Demgegenüber erzeugen alle Formen von Krankheiten ökonomisch betrachtet erhebliche Kosten.

Zunahme der Zivilisationskrankheiten
Allerdings geht ein steigender volkswirtschaftlicher Wohlstand nicht zwangsläufig mit einer besseren Gesundheit einher. Zwar haben wohlhabende Staaten in der Regel eine bessere Gesundheitsversorgung, doch nehmen auch Zivilisationskrankheiten – wie Krebs, Herzkreislauferkrankungen, Diabetes oder Demenz – immer stärker zu. Hinzu kommt die schnellere Verbreitung von Infektionen oder Viren in der auch physisch eng vernetzten Weltgemeinschaft. Gerade dieser Aspekt unterstreicht, dass das Streben nach Gesundheit auch eine global zu lösende Herausforderung darstellt. Nicht nur wegen des Zusammenhangs zwischen Gesundheit und Produktivität investieren Unternehmen immer mehr in das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Angesichts des weiter zunehmenden Arbeitskräftemangels kommt der „guten Pflege“ des Produktionsfaktors Arbeit künftig eine wachsende Bedeutung zu.

Personalintensive Branche
Die Gesundheitswirtschaft selbst leistet einen wichtigen Beitrag zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung, insbesondere in den Industrienationen. So lag die Bruttowertschöpfung des Bereichs in Deutschland im Jahr 2022 bei 440 Mrd. EUR oder knapp 11,5% des BIP. Aufgrund der immer älter werdenden Gesellschaft, des medizinisch-technischen Fortschritts und des wachsenden Gesundheitsbewusstseins dürfte die Bedeutung weiter zunehmen. Daher investiert die Gesundheitsbranche überdurchschnittliche Summen in Forschung und Entwicklung. Als personalintensive Branche spielt sie zudem eine wichtige Rolle am Arbeitsmarkt. Im Jahr 2022 haben gut sechs Millionen Menschen oder etwa jeder achte Erwerbstätige hierzulande in diesem Sektor gearbeitet. Mehr als drei Viertel der hierin Beschäftigten sind weiblich.

Ungleichverteilung
In vielen Schwellenländern ist die Gesundheitsversorgung allerdings weitaus kritischer. So verweist die WHO darauf, dass weltweit 30% der Menschen keinen Zugang zu grundlegenden Gesundheitsdienstleistungen haben, wobei die Ungleichverteilung im Zuge der Corona-Pandemie noch deutlich zugenommen hat. Die Welt steht derzeit vor einer Reihe großer Herausforderungen. Um diese erfolgreich zu gestalten, sind gesunde Menschen eine Grundvoraussetzung, denn nur sie haben die Bereitschaft und die Möglichkeiten, sich auf die notwendigen Transformationsprozesse einzulassen und diese aktiv mitzugestalten. Der Megatrend Gesundheit wird daher künftig noch wichtiger werden, weshalb sowohl der Staat als auch Unternehmen es sich langfristig nicht leisten können, das Thema Gesundheit zu vernachlässigen. Im eigenen Interesse werden vermögende Volkswirtschaften auch die Gesundheitssysteme in ärmeren Regionen unterstützen, um einerseits ihrer humanitären Verantwortung gerecht zu werden, aber andererseits auch, um internationalen Einfluss zu behalten und ggf. Flüchtlingsbewegungen abzumildern.

Carsten Mumm, CFA, ist Chefvolkswirt bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL. Der 49-Jährige verantwortet die Erstellung der hauseigenen Kapitalmarktmeinung und -publikationen sowie deren Präsentation in Veranstaltungen, Öffentlichkeit und Medien. Seit 2021 ist Mumm Mitglied im Ausschuss für Wirtschafts- und Währungspolitik des Bundesverbands deutscher Banken. Seit 2017 ist er Lehrbeauftragter an der International School of Management (ISM).


UNSERE EMPFEHLUNGEN