„Europa gerät zunehmend ins Hintertreffen“

Tobias Tretter

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Interview

Smart Investor im Gespräch mit Tobias Tretter, Commodity Capital AG, über den Rohstoffbedarf bei der Energiewende und Nachhaltigkeit als Investitionsschutz im Minensektor

Smart Investor: Die Energiewende wird politisch mit aller Kraft vorangetrieben. Welche Rohstoffe spielen dabei eine wesentliche Rolle?
Tretter: Die Energiewende wird zu einem signifikanten Anstieg der Nachfrage nach verschiedenen Rohstoffen führen. Die benötigte Menge und das Tempo dieses Anstiegs variieren erheblich, was unterschiedliche Herangehensweisen seitens der Investoren erfordert. Lithium ist ein gutes Beispiel, da die Nachfrage von 200.000 Tonnen im Jahr 2010 auf aktuell 1 Mio. Tonnen angestiegen ist und bis 2030 voraussichtlich auf 3 Mio. Tonnen steigen wird. Im Gegensatz dazu steigt der Verbrauch von Kupfer zwar auch mit der Energiewende, jedoch zu einem geringeren Prozentsatz. Das größte Nachfragewachstum bis 2030 wird bei Lithium und Seltenen Erden erwartet. Ab 2025 prognostizieren wir ein Defizit bei Kupfer – und auch die Nachfrage nach Silber, beispielsweise für die Herstellung von Solarzellen, sollte nicht unterschätzt werden. Darüber hinaus zeigt sich global ein deutliches Defizit bei Uran. Kernkraftwerke werden weltweit, mit Ausnahme von Deutschland, als unverzichtbar angesehen, um den steigenden Energiebedarf CO2-neutral zu decken.

Smart Investor: Warum sieht man trotz des hohen absehbaren Bedarfs aktuell keine deutlich steigenden Preise bei den Metallen und den Kursen der Minenunternehmen?
Tretter: Die zeitliche Verfügbarkeit spielt bei Rohstoffen eine entscheidende Rolle, wird jedoch oft unterschätzt. Ein Beispiel dafür ist Uran. War ein besonderes Ereignis verantwortlich für den fast verdreifachten Uranpreis im vergangenen Jahr? Nein, denn das Ungleichgewicht zwischen Verbrauch und Produktion war schon seit Jahren absehbar. Es bedurfte jedoch eines Ereignisses, das darauf hinwies, dass hier eine Gelegenheit zum Geldverdienen besteht, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Ähnlich verhält es sich bei Lithium: Die Preise stiegen von 15.000 USD pro Tonne auf über 80.000 USD, nur um im vergangenen Jahr um 85% zu fallen. War dies gerechtfertigt? In unseren Augen nicht. Die Produktion stieg aufgrund der hohen Preise stark an, jedoch nicht mit langfristig rentablen neuen Projekten, sondern lediglich mit zusätzlicher Produktion, die nur bei extrem hohen Preisen wirtschaftlich war. Es ist absehbar, dass es spätestens im kommenden Jahr erneut zu Versorgungsengpässen kommen wird. Während eine neue Batteriefabrik in zwei bis drei Jahren gebaut werden kann, dauert es zwölf bis 15 Jahre von der Entdeckung eines Lithiumprojekts bis zur Produktionsaufnahme. Die Industrie benötigt etwa zehn Jahre, um sich auf eine höhere Nachfrage einzustellen. Daher werden bis mindestens 2030 Versorgungsengpässe bei Lithium wahrscheinlich bleiben.

Smart Investor: Wie stellt sich die wirtschaftliche Lage der Minengesellschaften dar und wie ist die Situation bei den Förderprojekten?
Tretter: Minenunternehmen verzeichnen weiterhin solide Gewinne und sind gut positioniert, jedoch sind die Förderkosten in den letzten Jahren inflationsbedingt gestiegen. Dies konnte durch die höheren Rohstoffpreise ausgeglichen werden. Die Entwicklung neuer Projekte stellt jedoch eine große Herausforderung dar. Unternehmen investieren in neue Projekte, wenn sie erstens Kapital zu guten Konditionen erhalten können und zweitens erwarten, dass die Rohstoffpreise mittel- bis langfristig auf einem rentablen Niveau bleiben. Hierbei stoßen sie auf zwei Probleme: Die Kapitalbeschaffung im Rohstoffsektor ist schwierig und teuer, und volatile Rohstoffpreise, wie im Lithiumsektor, oder Preise nur knapp über den Produktionskosten, wie im Kupfersektor, sind hinderlich für die Entscheidung, neue Projekte in Produktion zu bringen.

Smart Investor: Welche Rolle spielen Nachhaltigkeitskriterien bei der Auswahl der Minen in den Fonds von Commodity Capital?
Tretter: Rohstoffprojekte erfordern erhebliche Investitionen, jedoch fließen erst Einnahmen, wenn das Projekt in Produktion geht. Danach kann über 20 Jahre oder länger kontinuierlich Geld verdient werden – vorausgesetzt, alles läuft reibungslos. Der Fokus liegt darauf, dass die Einheimischen das Projekt unterstützen. Dies geschieht, solange sie respektvoll behandelt werden und keine Umweltverschmutzung entsteht. Für uns sind ESG-Kriterien ein wesentlicher Bestandteil des Investitionsschutzes. Aus diesem Grund ist es für uns von großer Bedeutung, die Projekte persönlich zu besuchen und mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt zu treten.

Smart Investor: China spielt weltweit eine wesentliche Rolle bei der Versorgungmit kritischen Rohstoffen. Wie kann es Europa und den USA gelingen, dieser Abhängigkeit zu entkommen?
Tretter: Die USA setzen verstärkt auf Strategien zur Reduzierung ihrer Abhängigkeit von China in Bezug auf Rohstoffe. Massive Subventionen werden eingesetzt, um die heimische Rohstoffproduktion zu fördern und Partnerschaften mit anderen Rohstofflieferländern zu stärken. Im Gegensatz dazu hinkt Europa bei der Bewältigung dieser Herausforderung deutlich hinterher. Anstatt auf Subventionen und Anreize zu setzen, verfolgt Europa hauptsächlich restriktive Maßnahmen, um die Abhängigkeit von China zu verringern. Diese Strategie erweist sich jedoch als wenig effektiv. Die Folgen dieser Unterschiede sind bereits spürbar: Europa gerät zunehmend ins Hintertreffen.

Smart Investor: Herr Tretter, vielen Dank für Ihre interessanten Ausführungen.

Als geschäftsführender Gesellschafter leitet Tobias Tretter die Commodity Capital AG seit ihrer Gründung 2009. Er fungiert dort als Portfoliomanager sowie als CIO und ist für die Investmententscheidungen der folgenden Fonds verantwortlich: Commodity Capital Global Mining Fonds (WKN: A0YDDD), Structured Solutions Next Gene­ration Resources Fund (WKN: HAFX4V) sowie Structured Solutions ­Resource Income Fund (WKN: A2AT4F). Tretter erhielt seinen Prädikatsabschluss an der Universität Bayreuth mit einer Diplom­arbeit über die Lebenszyklusanalyse von Rohstoffunternehmen. Seine Karriere begann er bei Credit Suisse Asset ­Management und setzte seine Erfahrung dann bei der Beratung des DJE Gold & Ressourcen (WKN: 164323) sowie der Stabilitas mit ein. 2017, 2018 und 2022 erhielt Tretter den Lipper Fund Award für den „besten Rohstofffonds Europas“ sowie weitere ­namhafte Auszeichnungen, beispielsweise den Mountainview Award (2021 und 2022).

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