Value
Bei unserer Rundreise durch Europa treffen wir auf Value-Aktien, die gerade jetzt mehr als nur einen Blick wert sind
Der Viersäulenriese
Alles auf eine Karte zu setzen ist eine riskante Strategie. Was für ein Aktienportfolio gilt, lässt sich auch auf Unternehmen übertragen. In Italien begegnen Value-Anleger der Poste Italiane. Das klassische Brief- und Paketgeschäft ist hier nur eine von vier Säulen, von denen inzwischen alle zum Ergebnis der Gruppe beitragen. Tatsächlich schrumpft auch in Italien das Briefvolumen; das meiste Geld verdient der Konzern schon länger mit seiner Bank- und Versicherungssparte. Letztere überzeugt mit stabilen Nettozuflüssen bei einer hohen Kundenbindung. Im Bankgeschäft wirken sich die höheren Zinsen positiv auf die Ertragslage aus. Hinzu kamen im ersten Halbjahr steigende Einnahmen aus dem Assetmanagement. Die Bank wird hierbei von vielen Italienern als sicherer Hafen angesehen. Jeder kennt die über das ganze Land verteilten rund 12.000 Filialen der Poste Italiane. Auf 35 Millionen Kunden bringt es die BancoPosta. Von diesem Standortvorteil profitieren auch die übrigen Aktivitäten der Gruppe. So bieten die Postfilialen auch andere Bank- und Versicherungsprodukte. Zuletzt stieg man ins Geschäft mit Ökostromtarifen ein. Darüber hinaus sind viele Angebote auch an Tankstellen, in Kiosken und Outlets zu finden. Ein Wachstumstreiber für den Konzern ist der Payment-Bereich „PostePay“. Auch in Italien wird immer häufiger elektronisch, per App oder mit Prepaid-Karten bezahlt. Trotz planmäßiger Anlaufkosten bei „PosteEnergia“ konnte der Bereich „Payments & Mobile“ im ersten Halbjahr den operativen Gewinn um 18% verbessern. Der gesamte Konzern wies für denselben Zeitraum ein EBIT-Wachstum von knapp 11% auf 1,6 Mrd. EUR aus. Der Vorstand sieht sich daher auf Kurs zu den Jahreszielen (EBIT: 2,5 Mrd. EUR; Überschuss: 1,7 Mrd. EUR), die recht konservativ erscheinen. Zu beachten ist, dass ein Großteil der Bankanlagen in italienischen Staatsanleihen steckt. Obwohl ein Austritt Italiens aus dem Euro derzeit kein Thema ist, sollte dieser Punkt nicht unerwähnt bleiben. Ein KGV von sieben scheint dieses Risiko aber adäquat zu berücksichtigen. Zudem versüßt eine Dividendenrendite von knapp 7% ein Investment in Poste-Italiane-Aktien.
Aus der Mode
Mit dem Namen Kering dürften nur wenige etwas anzufangen wissen. Ganz anders sieht es aus, wenn von Gucci, Saint Laurent, Balenciaga, Brioni oder Bottega Veneta die Rede ist. Dabei gehören all diese begehrten Marken zum französischen Luxuskonzern Kering, der maßgeblich von der milliardenschweren Unternehmerfamilie Pinault kontrolliert wird. François-Henri Pinault baute Kering in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender zu einem globalen Luxuskonglomerat um. Seine Amtszeit endet voraussichtlich im Jahr 2025. Bis dahin wartet aber noch einiges an Arbeit auf ihn – denn vor allem bei der Hauptmarke Gucci, die für ungefähr die Hälfte der Erlöse steht, bleibt die Entwicklung schon länger hinter den selbstgesteckten Ansprüchen zurück. Im ersten Halbjahr brachte es Gucci lediglich auf ein bescheidenes Wachstum von 1%. Auch der Gesamtkonzern konnte mit einem Plus von 2% auf 10,1 Mrd. EUR nicht überzeugen. Damit musste Kering einmal mehr den Verlust von Marktanteilen im Luxussegment hinnehmen. Höhere Marketingkosten und Investitionen führten zu einem Gewinnrückgang um 10% auf 1,8 Mrd. EUR. Viele Probleme, die Pinault nun anpacken muss, sind hausgemacht. So schöpft Gucci das Potenzial der Marke nicht aus. Hier wartet die Börse sehnsüchtig auf Neuigkeiten zur Strategie und zum Umbau im Management. Im Umkehrschluss liegt gerade in einem Turnaround bei Gucci der größte Hebel für den stagnierenden Aktienkurs. Gleichzeitig setzt Pinault weiter auf Expansion. Die Übernahme eines 30%-Anteils am italienischen Luxushaus Valentino ließ man sich 1,7 Mrd. EUR kosten. Es besteht die Option, Valentino bis zum Jahr 2028 vollständig Wolters Kluwer zu übernehmen. Mit dem Verkäufer – dem katarischen Investor Mayhoola – wurde zudem eine strategische Partnerschaft vereinbart, die auch zu einer Beteiligung der Katarer an Kering führen könnte. Offenbar hat auch Mayhoola die günstige Bewertung (KGV von 15) der Franzosen erkannt. Value-Investoren lieben Titel, die gerade nicht in Mode sind. Ein antizyklischer Einstieg könnte sich auszahlen.
Das Wissen der Profis
Heute hat ein jeder Zugriff auf einen scheinbar unbegrenzten Pool an Informationen. Doch auf welche davon kann man sich wirklich verlassen? Auch aufgrund dieses Problems kommt den Services des niederländischen Informationsdienstleisters Wolters Kluwer eine immer größere Bedeutung zu. Der Konzern mit Verlagshintergrund hat sich in vielen Bereichen als unverzichtbarer Datenlieferant mit Technologie- und Cloudkompetenz etabliert. In den Segmenten Gesundheit, Steuern und Buchhaltung, ESG sowie Unternehmensführung und Recht liefert Wolters Kluwer wertvolle Fachinformationen für die jeweils Verantwortlichen. Das können Juristen, Steuerberater, Buchhalter, Wirtschaftsprüfer, Compliance-Beauftragte, Mediziner oder auch Forscher sein. Neben klassischen Softwarelösungen hat sich der Konzern zuletzt stark auf den Ausbau seines Cloud- und Digitalgeschäfts fokussiert. Bereits die Hälfte der Digitalumsätze basiert auf Lösungen mit künstlicher Intelligenz. Diese hilft beim richtigen Einordnen von Informationen oder deren sekundenschneller Aufbereitung. Die Nachfrage nach den Diensten von Wolters Kluwer steigt auch aufgrund immer höherer regulatorischer Anforderungen. In der aktuellen Wirtschaftslage profitiert der Konzern zudem von seiner diversifizierten Kundenstruktur, deren Nachfrage nur bedingt zyklisch ist, sowie von einem hohen Anteil wiederkehrender Erlöse oftmals aus Abonnements (82% im ersten Halbjahr). Ebenso attraktiv ist das Margenprofil. Für dieses Jahr wurde kürzlich das Ziel einer EBIT-Marge zwischen 26,1% und 26,5% bestätigt. Der Gewinn je Aktie soll gleichzeitig im hohen einstelligen Bereich ansteigen und ein stabiler Free Cashflow in Höhe von ca. 1,2 Mrd. EUR erwirtschaftet werden. Dazu möchte das Unternehmen allein in diesem Jahr 1 Mrd. EUR für Aktienrückkäufe ausgeben. Aus Value-Sicht sind das ausreichend Gründe, die für ein langfristiges Engagement sprechen und die das zunächst optisch hohe KGV relativieren.
Fazit
Die hier vorgestellten europäischen Value-Aktien sind mehr als nur eine Depotbeimischung. Sie verbinden Stabilität mit einer starken Marktposition und einer Story, die weitere Anleger anlocken dürfte.