Interview
Smart Investor im Gespräch mit Mike Judith, Head of International Sales bei DNB AM, über Anlagechancen im neuen Jahr und Probleme bei ESG-Einstufungen von Unternehmen
Smart Investor: Ein schwieriges Jahr für Investoren geht zu Ende. Was könnte 2023 bringen?
Judith: Wir gehen davon aus, dass am Aktienmarkt noch einige ruppige Phasen vor uns liegen. Bislang war der Aktienabschwung in erster Linie auf eine Kombination von verschiedenen Multiplikatoren zurückzuführen, da die Inflation höher als erwartet war und die Zentralbanken die Zinsen aggressiv angehoben haben. Die nächste Abwärtsbewegung könnte durch niedrigere Gewinnschätzungen aufgrund schwächerer Umsatzerlöse und einer Margenkompression ausgelöst werden.
Smart Investor: Bei welchen Sektoren sieht die DNB gute Chancen?
Judith: Wenn der Markt die Talsohle erreicht hat, sollten prozyklische Sektoren gut abschneiden. Hier haben wir Nebenwerte im Blick, nachdem sie in den letzten zwölf Monaten eine Rekord-Underperformance erzielt haben. Darüber hinaus sollten auch zyklische Konsumgüter profitieren, da die Inflation zurückgeht. Auch dieser Sektor hat 2022 sehr schlecht abgeschnitten. Das Gleiche gilt für Wachstumswerte, bei denen ein erheblicher Teil der erwarteten Gewinne in der Zukunft liegt und die aufgrund ihrer Empfindlichkeit gegenüber höheren Zinssätzen stark unter Druck geraten sind. Bei den Wachstumswerten würden wir den Tech- und Erneuerbare-Energie-Sektor hervorheben, der immer noch von einem starken strukturellen Rückenwind profitiert. Die erheblichen Rückschläge der Bigtech-Aktien oder der grünen „Pure Plays“ haben wir bereits zum selektiven Einstieg genutzt.
Smart Investor: Einige sehen ein Comeback der Anleihen. Was denken Sie?
Judith: Wir sind davon überzeugt, dass Anleihen in den nächsten sechs bis zwölf Monaten ein Comeback erleben werden. Wichtig für die Märkte ist die Gewissheit, den Höhepunkt des Zinserhöhungszyklus der Zentralbanken abschätzen zu können. Dieser Zyklus wird allerdings, da die Zinsänderungen mit einer beträchtlichen Verzögerung auf die Wirtschaft wirken, zwischenzeitliche Verschnaufpausen einlegen, um die Entwicklungen in den jeweiligen Volkswirtschaften zu bewerten. Die Märkte in Europa einschließlich Norwegen sollten die zukünftigen Zinsschritte zum größten Teil eingepreist haben. Es könnte sogar sein, dass die altbekannte negative Korrelation zwischen Anleihen- und Aktienrenditen wiederauflebt.
Smart Investor: Wie ist die Branche in Sachen ESG vorangekommen?
Judith: Auf regulatorischer Seite hat sich 2022 mit der Offenlegungsverordnung und MiFID II einiges getan. Das größte Problem, vor dem die Branche steht, sind nach wie vor die Unternehmensdaten, die es nicht in ausreichender Menge und Güte gibt, die lückenhaft sind oder die sich zum Teil widersprechen. Auch die Vergleichbarkeit ist nicht gegeben. Die Klassifizierung in Artikel sechs, acht und neun war ein erster Versuch – mit Luft nach oben. Eine weitere wichtige Diskussion bleibt, ob Unternehmen mit einem schlechten CO2-Fußabdruck – aber überprüfbarem Transformationsplan hin zu Erneuerbarer Energie oder mit gar positiven Scope-4-Daten – aus den nachhaltigen Portfolios ausgeschlossen werden sollten.
Mike Judith ist Managing Director der DNB Asset Management S.A. in Luxemburg und leitet den internationalen Vertrieb sowie die dortige KVG. Bevor er 2010 zu DNB Asset Management kam, betreute er institutionelle Investoren bei der amerikanischen Privatbank Brown Brothers Harriman. Seit 2007 doziert er für die Frankfurt School of Finance & Management.