Das KI-Wettrüsten ist eröffnet

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Wenn Not erfinderisch macht

Der Sputnik-Moment

Während in Deutschland die Asyl-Debatte tobt, zog China die Aufmerksamkeit der Märkte mit einem wahren „Sputnik-Schock“ auf sich. Der Ausdruck bezieht sich auf das Jahr 1957, in dem die damalige Sowjetunion den ersten Satelliten in eine Erdumlaufbahn schoss. Dieser Technologiesprung der Sowjets schockierte die westliche Welt und wird als Startpunkt des Wettrüstens im Weltall angesehen. Heute ist der technologische Hauptkonkurrent der USA längst China und das Feld, auf dem das Kräftemessen aktuell stattfindet, ist die Künstliche Intelligenz (KI). Bis vor einer Woche wähnten sich die USA in der unangefochtenen Spitzenposition. Der Sputnik des Jahres 2025 heißt DeepSeek, wurde von einem chinesischen Unternehmen gleichen Namens entwickelt und erblickte erst vor wenigen Tagen das Licht der westlichen Welt. Bei DeepSeek handelt es sich um ein sogenanntes Large Language Model (LLM), vergleichbar mit ChatGPT, GROK, etc. Es soll vollständig „Open-source“ sein und wurde unter der MIT-Lizenz veröffentlicht, was Transparenz und Vertrauen schafft, und zudem anderen Entwicklern erlaubt, den Code einzusehen, zu nutzen und zu modifizieren. Allerdings wurden an der Vollständigkeit der Transparenz bereits Zweifel angemeldet (s.u.). Der eigentliche Game Changer war aber die behauptete Kosteneffizienz des Modells, sowohl in der Entwicklung als auch im Betrieb. So soll DeepSeek mit vergleichsweise geringem Budget im einstelligen Millionen-Bereich entwickelt worden sein. Bei den US-Konkurrenten sprechen wir von Milliarden, bei der künftigen US-KI-Initiative „Stargate“ sogar von 500 Mrd. USD. Dennoch konnte die Leistung der Modelle DeepSeek-R1 und DeepSeek-V3 in verschiedenen Benchmarks überzeugen, zeigte sich teilweise sogar ebenbürtig mit OpenAIs ChatGPT und anderen führenden Modellen.

Die Mutter der Innovation

Was für besondere Verunsicherung an den Märkten sorgte, war der Umstand, dass China nicht mit den neuesten, leistungsfähigsten und damit auch profitabelsten NVIDIA-Chips arbeitete, sondern nur mit jenen abgespeckten Versionen, die nicht unter entsprechende US-Exportbeschränkungen fallen. Letztere dienen natürlich dazu, das Entwicklungstempo der chinesischen Konkurrenz auszubremsen. Umso größer war der Schock. Es könnte dies ein weiterer Fall von „Not macht erfinderisch“ sein. DeepSeek hat die Herausforderung offenbar als Chance begriffen und gezeigt, dass auch mit einer abgespeckten Hardware in Verbindung mit innovativen Trainingsmethoden wie „Chain-of-Thought-Reasoning“ eine Menge erreicht werden kann. Das Ganze erinnert ein wenig an das „Made in Germany“-Warenkennzeichen, das nach dem Deutsch-Französischem-Krieg von 1870/71 per Dekret eingeführt wurde, um Kunden im Ausland vor der Minderwertigkeit deutscher Produkte zu warnen – am Ende wurde es zu einem weltweit anerkannten Qualitätssiegel. Es war dieser künstliche Druck, der die Kreativität von Unternehmern und Ingenieuren erst richtig anreizte. Damit spannt sich der Bogen erneut nach China zurück. Denn hiesigen Verbrauchern gelten chinesische Produkte ganz generell als von geringer Qualität. Ein Eindruck, der von den entsprechenden Interessengruppen nach Kräften geschürt wird. Entsprechend rümpft der deutsche Verbraucher bei der Erwähnung von Chinaware geradezu reflexhaft die Nase. Aber machen Sie doch einmal die Probe aufs Exempel und bestellen bei einem der großen China-Händler, etwa der PDD-Tochter Temu, für kleines Geld ein paar Produkte mit 5-Sterne-Bewertungen – Sie werden staunen. Näheres zu diesem Unternehmen lesen Sie im neuen Smart Investor 2/2025.

Das Beben der Börsenstars

Am Montag erzeugte die DeepSeek-Story, die es sogar bis in den Boulevard geschafft hatte, aber erst einmal ein Börsenbeben der anderen Art. Es traf just jene Highflyer, die über Monate, wenn nicht Jahre den Ton angaben, auch wenn sich der gemeinsame Nenner der neuen China-KI durchaus unterschiedlich auf die jeweiligen Geschäftsmodelle auswirken könnte. Hauptbetroffen war Dauer-Highflyer NVIDIA (WKN: 918422) mit einem Kursrückgang von knapp 17% am Montag. Das Hauptargument war, dass die effizienteren DeepSeek-Modelle mit geringeren Hardwareanforderungen auskommen, was sich negativ auf Absatz und Marge bei den Hochleistungschips auswirken könnte. Das würde sich entsprechend auch bei ASML (WKN: A1J4U4) niederschlagen. Der Hersteller von Lithographie-Maschinen für die Chip-Herstellung fuhr einen Tagesverlust von rund 10% ein. Selbst Microsoft (WKN: 870747) fiel um 3,5%. Zwar hat DeepSeek nicht unbedingt Einfluss auf das Stammgeschäft, aber als großer Investor und Partner von OpenAI (ChatGPT), das durch DeepSeek herausgefordert wird, machte sich der Markt Sorgen über Microsofts künftige Position im KI-Markt. Die niedrigen Kosten und die Effizienz von DeepSeek könnten die Marktanteile und die Gewinnmargen von Microsofts KI-Lösungen und von OpenAI negativ beeinflussen. Neben zahlreichen weiteren KI-Unternehmen waren auch solche betroffen, auf die man vielleicht nicht so ohne weiteres gekommen wäre. Siemens Energy (WKN: ENER6Y) rauschten in der Spitze um bis zu 20% nach unten. Hier war die Erwartung, dass eine steigende Effizienz von KI-Anwendungen, deren Stromverbrauch reduzieren könnte, was wiederum die Investitionen in sogenannte Erneuerbare Energien beeinträchtigen würde. Selbst Uran und Uran-Aktien gaben kurzfristig deutlich nach.

China-Wunder mit Fragezeichen

Schon am Dienstag erholten sich etliche der betroffenen Titel vom Kursdebakel. Im Prinzip versuchen die Märkte den DeepSeek-Schock zu verarbeiten. Nach der anfänglichen Begeisterung zeigt die Story aber einige dunkle Flecken. Kritiker merken an, dass die knapp 6 Mio. USD an Entwicklungskosten, nur die reinen Trainingskosten des V3-Modells seien, während über die im Vorfeld und zusätzlich benötigten Mittel Unklarheit herrsche. Eine unabhängige Verifizierung der von DeepSeek angegebenen Kosten gebe es ohnehin nicht.

Bei genauerer Betrachtung zeigten sich auch einige Schwächen am Modell, welche die erste Euphorie dämpfen könnten. So neigte es etwa stärker zum sogenannten „Halluzinieren“ als andere Modelle. Zudem traten Identitätsverwirrungen auf, was damit erklärt wird, dass DeepSeek im Wesentlichen auf Basis von ChatGPT trainiert wurde und sich dann sogar für ChatGPT hielt. Wie schon angedeutet, ist es auch mit der Transparenz nicht ganz so weit her, wie man sich das bei Open Source vorstellt. Findige Nutzer haben die KI direkt nach dem Regierungssystem in China oder dem Massaker auf dem Tian’anmen-Platz befragt. Das Modell antwortete karg, ausweichend oder gar nicht. Es scheint also in dieser KI einige Denk- und Sprechverbote zu geben. Weitere Bedenken gehen in die Richtung, dass das ganze Modell eine Art Trojanisches Pferd der Kommunistischen Partei Chinas sein könnte. Das muss zwar nicht stimmen, für professionelle Anwender in sensiblen Bereichen scheidet DeepSeek damit aber erst einmal aus.

Dennoch hat das Modell in vielerlei Hinsicht neue Wege eröffnet. Erstmals wird den proprietären Lösungen eine kostenfreie Version entgegengestellt, die zudem so offen ist, dass man auf dieser Basis weitere Entwicklungen vorantreiben könnte. Auch haben sich die Hochleistungschips durch DeepSeek nicht automatisch entwertet. Vielmehr dürfte die chinesische KI ein Anstoß sein, für die besten verfügbaren Architekturen ebenfalls innovative Trainingsverfahren zu entwickeln. Das Rennen, das bislang vorwiegend hinter verschlossenen Türen stattfand, wird nun – zumindest teilweise – vor den Augen der interessierten Öffentlichkeit ausgetragen werden. Pünktlich zum chinesischen Neujahr wirft beispielsweise Alibaba mit Qwen 2.5-Max ein weiteres KI-Modell auf den Markt, das angeblich ChatGPT und DeepSeek überlegen sein soll. Spannende Zeiten.

Zu den Märkten

Für den DAX erwies sich das Blutbad bei den Tech-Aktien nur als Schrecksekunde. Danach strebte der Markt unbeirrt weiter nach oben und erreichte am Mittwoch neue Allzeithochs. Die Beschleunigung hat dazu geführt, dass der Index nun oberhalb seines rund ein Jahr währenden Aufwärtstrends verläuft. Sogar die Umsatzentwicklung geht im Großen und Ganzen in Ordnung.

Die Wiederentdeckung des deutschen Aktienmarktes dürfte derzeit im Wesentlichen von zwei Entwicklungen getragen werden. Zum einen sind die heimischen Beteiligungspapiere im internationalen Vergleich relativ preiswert. Zum anderen ist nicht zu übersehen, dass der Index seit dem Auseinanderbrechen der wirtschaftsinkompetenten Ampelregierung im letzten Dezember massiv beschleunigt hat. Ob politisch etwas Besseres nachkommen wird, ist derzeit allerdings noch offen.

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Fazit

Die Börse ist für manche Überraschung gut. Diesmal kam sie aus China und hörte auf den Namen DeepSeek. Ob die Wunder-KI allerdings wirklich hält, was sie verspricht, muss sich erst noch zeigen.

Ralf Flierl, Ralph Malisch

 

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Die Charts wurden erstellt mit stock3 und Tai-Pan von Lenz+Partner. Diese Rubrik erscheint jeden Mittwochnachmittag.

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