Interview
Smart Investor im Gespräch mit Dr. Hendrik Leber, ACATIS Investment, über die Schwäche Europas, einen möglichen Trump’schen Honeymoon und den Einsatz von KI im Assetmanagement
Smart Investor: In Berlin kursierte seit Monaten der Satz „Nikolaus ist Ampel aus“. So lange hat es dann nicht gedauert. Welche Konsequenzen ergeben sich aus der politischen Schwäche Deutschlands und zuletzt auch der Regierungskrise in Frankreich für europäische Aktien?
Leber: In Deutschland und Europa ist eine Erneuerung dringendst notwendig. Wir haben nicht mehr fünf vor, sondern bereits fünf nach zwölf. Ein Kollege, der vor Kurzem eine europäische Investmentkonferenz besuchte, fasste es desillusioniert so zusammen: „Europa ist tot. Die Zeit für eine Erneuerung ist praktisch abgelaufen.“ Europa hat weder einen echten Güterbinnenmarkt noch einen echten Binnenkapitalmarkt. Im Gegenzug sind wir aber sehr stark beim Regulieren, und das am besten bis ins kleinste Detail. Außerdem sind die Anreize, sich wirtschaftlich anzustrengen und Leistung zu belohnen, gering; die Infrastruktur zerfällt, die Digitalisierung ist rückständig und die Energiekosten zu hoch. In Summe haben wir also Standortnachteile ohne Ende. Die Schlussfolgerung für Anleger ist daher eine breite, kluge und weltweite Diversifikation über verschiedene Anlageklassen, Regionen und Branchen. Diversifikation schützt vor Unwissenheit und Unsicherheit. Es gibt viele Chancen, bei großen und bei kleinen Unternehmen, in Branchen wie dem Gesundheitswesen, bei Unternehmensanleihen oder bei Kryptowährungen. Und trotz aller Nachteile findet man auch in Europa und in Deutschland noch Anlagemöglichkeiten.
Smart Investor: Mit welchen Auswirkungen müssen Anleger durch die wirtschaftspolitische Agenda des neuen US-Präsidenten Trump rechnen?
Leber: Trump kann mit seiner Regierung aufgrund der Mehrheiten im Senat und im Repräsentantenhaus wirklich etwas verändern. Wenn er die Unternehmenssteuern senkt, die Bürokratie abbaut und ihm vielleicht noch ein schneller internationaler Kompromiss gelingt, könnte das Frühjahr zu einem Trump’schen Honeymoon mit positiven Börsen werden. Deshalb gewichten wir US-Aktien zunächst höher. Aber wir gehen davon aus, dass es danach zu Enttäuschungen kommen wird. Wie es mit Deutschland und Europa weitergehen wird und ob europäische Titel auf- oder abgebaut werden, können wir nach den Bundestagswahlen besser beurteilen.
Smart Investor: Die Bewertung chinesischer Aktien ist attraktiv, allerdings droht politische Einflussnahme. Sind die Titel eine Value-Falle oder einen Kauf wert?
Leber: In Asien gibt es Unternehmen, die in ihrer Nische Weltmarktführer sind, aber noch unter dem Radar laufen – und daher gute Chancen für einen aggressiven Einstieg bieten. Aber man muss genau hinschauen. Das gilt auch für den chinesischen Aktienmarkt, der tatsächlich vergleichsweise günstig bewertet ist. Und China ist ein Gigant, der zielorientiert seine Machtbasis ausbaut, regional und international. China wird versuchen, die USA zu überholen, und Zölle nicht unbeantwortet lassen, in welcher Höhe sie auch kommen.
Smart Investor: ACATIS nutzt in einigen Fonds KI. Wie wird sie genau eingesetzt? Entsprechen die Ergebnisse den Erwartungen?
Leber: Wir sehen in der Künstlichen Intelligenz erhebliches Potenzial und erwarten in den nächsten Jahren bahnbrechende Durchbrüche auf diesem Gebiet. Deshalb investieren wir schon seit mehreren Jahren viel Zeit und Geld in die Entwicklung. Heute arbeiten wir bei ACATIS hauptsächlich mit Deep-Learning-Modellen. Diese Art der KI ist vergleichbar mit einem erfahrenen Analysten – daher setzen wir sie auch in unseren beiden „reinen“ KI-Fonds Acatis AI Global Equities (WKN: A2DR2L) und Acatis AI US Equities (WKN: A2JF68) ein. Die Künstliche Intelligenz übernimmt hier die Analysearbeit eines Value-Investors und ist für die Titelauswahl verantwortlich. Bei unserem Mensch-Maschine-Fonds, dem Acatis Global Value Total Return (WKN: A1JGBX), übernimmt die KI teilweise die Vorauswahl der Titel. Mit den bisherigen Ergebnissen sind wir zufrieden, aber trotz allem steht die Entwicklung immer noch erst am Anfang. Für unsere aktiven Portfoliomanager ist die KI zudem Ideengeber.
Smart Investor: Durch die Verschuldungsexzesse vieler Staaten schwindet zunehmend das Vertrauen in die Fiatwährungen. Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die Chancen des Bitcoin ein?
Leber: Den Bitcoin sehe ich als eine eigenständige Assetklasse bzw. Anlagewährung ähnlich dem Schweizer Franken, der Norwegischen Krone oder auch Gold. In unserem Acatis Datini Valueflex (WKN: A1H72F) beispielsweise ist er sozusagen eine Reserveposition. Und nach wie vor sehe ich meine Investmentthese intakt – eine begrenzte Anzahl an Bitcoins trifft auf eine tendenziell steigende Nachfrage. Vor allem das wirklich hart limitierte Angebot sehe ich als attraktiv beim Bitcoin. Im Vergleich dazu können z.B. die Geldmengen des US-Dollar oder des Euro durch die Notenbanken im Prinzip beliebig vermehrt werden. Der Bitcoin kann aber weit mehr als nur ein Investment sein. Gerade für Menschen in Krisenregionen kann er auch eine Art Schutz- oder Aufbewahrungsfunktion erfüllen, falls beispielsweise das Währungssystem ins Schwanken gerät oder Bargeld nicht mehr verfügbar ist. Und Bitcoins haben im Übrigen einen deutlichen Vorteil gegenüber Gold: Sie sind leichter „transportierbar“.
Smart Investor: Herr Dr. Leber, vielen Dank für Ihre interessanten Ausführungen.
Dr. Hendrik Leber studierte Betriebswirtschaft in Saarbrücken, St. Gallen (Schweiz), Syracuse und Berkeley (USA). Bevor er ACATIS Investment im Jahre 1994 gründete, war er von 1989 bis 1994 für das Bankhaus Metzler tätig; zunächst als Projektleiter, ab 1990 als persönlich haftender Gesellschafter. Von 1984 bis 1989 war er für die Unternehmensberatung McKinsey als Berater und Senior Projektleiter tätig. Seine Dissertation an der Hochschule St. Gallen trug den Titel „Schweizerische Banken im US-Effektengeschäft“. 2017 wurde er von EURO/BÖRSE ONLINE mit dem Goldenen Bullen zum „Fondsmanager des Jahres“ ausgezeichnet. Herr Dr. Leber ist Sprecher der Geschäftsführung und Portfoliomanager.