Was treibt den DAX?
Glasnost im ÖRRIn der letzten Ausgabe haben wir einige Problemfelder des deutschen Wirtschaftsstandorts skizziert und mit Volkswagen, Bayer und ThyssenKrupp drei prominente DAX-Verlierer vorgestellt, die so gar nicht zum aufwärtsstrebenden Index passen wollen. Die jeweiligen Ursachen der Kursmisere umfassen ein breites Spektrum, von hausgemacht über standortbedingt sowie beliebige Kombinationen daraus wie etwa Vorstände, die weniger auf ihre Kundschaft achten, als sich in politischer Liebedienerei üben und damit letztlich Schiffbruch erleiden. Dass es wirtschaftlich im Lande bergab geht, mag man auch daran erkennen, dass das Thema selbst im Mainstream angekommen ist. Es lässt schon aufhorchen, wenn in der gestrigen Talkshow „Markus Lanz“ ein gestandener deutsch-amerikanischer Manager wie Martin Richenhagen, langjähriger früherer CEO des US-Landmaschinengiganten AGCO (WKN: 888282), in Bezug auf Bundeskanzler Scholz ausspricht, „das kann nur einer sagen, der absolut keine Ahnung von Wirtschaft hat und das bezieht sich ja auf die gesamte Bundesregierung, da ist ja niemand mit Wirtschaftskompetenz, am wenigsten der Wirtschaftsminister.““
Grüner TurnaroundVor dem Hintergrund einer derart drastischen Einschätzung sind die DAX-Rekorde erklärungsbedürftig. Natürlich muss es in einem Index, der seit dem Jahresende 2023 um rund +19,5% zugelegt hat und der zudem einige große Jahresverlierer umfasst auch große Gewinner geben. An erster Stelle steht hier Siemens Energy (WKN: ENER6Y) mit einem Plus von +327%. Dies ist allerdings in zweifacher Hinsicht nicht typisch für die deutsche Wirtschaft insgesamt. Der Konzern hatte sich mit der Übernahme der spanischen GAMESA ordentlich verhoben. Der Aktienkurs stürzte dramatisch ab und erreichte im vierten Quartal 2023 seinen Tiefkurs. Ab da ging es bei dieser Turnaround-Geschichte fast kontinuierlich nach oben, nicht zuletzt auch deshalb, weil das Unternehmen im Rahmen der grünen Transformation ordentlich politischen Rückenwind hatte. Das Indexgewicht von 2,29% ist allerdings überschaubar.
KriegsdividendeEbenfalls reichlich politischen Rückenwind, wenn auch ganz anderer Art, hat der Zweitplatzierte mit einem Plus von bislang +121,2%. Die Titel von Rheinmetall (WKN: 703000) sind die klassischen Kriegs- bzw. Aufrüstungsprofiteure und, dass ausgerechnet diese Aktie zu den stärksten gehört, ist gerade kein Hinweis auf eine prosperierende Wirtschaft oder eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik. Nun muss man noch gar nicht so weit gehen, darin einen Indikator für eine Ausweitung des Kriegs in Europa zu sehen, aber eines zeigt sich bereits jetzt direkt in den Geschäftsbüchern. Die sogenannte Friedensdividende ist, um es mit einem großen Wirtschaftsphilosophen unserer Tage auszudrücken, vielleicht nicht direkt futsch, aber sie hat jetzt ein anderer. Das DAX-Gewicht der Rheinmetall-Aktien ist trotz des fulminanten Kursaufschwungs mit 1,59% allerdings sogar noch geringer als das von Siemens Energy.
„magnificent one“Nach diesen beiden eher exotischen Titeln liegt auf Platz 3 schon die Brot-und-Butter-Aktie des DAX, ohne die der Indexanstieg gar nicht möglich gewesen wäre. Nicht nur bringt SAP (WKN: 716460) mit 15,68% das mit Abstand größte Indexgewicht auf die Waage, die Aktie weist mit +67% auch die dritthöchste Performance auf. Die deutsche „magnificent one“ birgt allerdings auch ein gewisses Gefahrenpotenzial. Zum einen ist es immer eine schwierige Situation, wenn sich ein Index nur auf wenige Titel abstützt. Sollten hier einmal enttäuschende Quartalszahlen präsentiert werden – und das wird umso wahrscheinlicher, je höher die Erwartungen gespannt sind –, würde das direkt auf den Index durchschlagen. Zum anderen liegt SAP aktuell bereits über der Kappungsgrenze eines DAX-Anteils von 15% müsste also bei der nächsten Indexanpassung im März 2025 etwas zurückgestutzt werden.
Defensive Schwergewichte als OutperformerUnter den sehr guten Performern des noch laufenden Börsenjahres finden sich zudem drei weitere Börsenschwergewichte, die eindeutig zu den defensiven Aktien zu rechnen sind.
Deutsche Telekom (WKN: 555750, +40,1%, 8,7% Anteil)
Münchener Rück (WKN: 843002, +34,9%, 3,9% Anteil)
Allianz: (WKN: 840400, +23%, 6,5% Anteil)
Schon der Elektrokonzern Siemens (WKN: 723610, +11,9%, 8,6% Anteil), ein typisch deutsches Industrieunternehmen, gehört zu den Underperformern. Chemie und Fahrzeugbau, zwei deutsche Vorzeigebranchen, liegen abgeschlagen im unteren Drittel. Wie dünn der Aufschwung des DAX ist, lässt sich auch an der Marktbreite ablesen. Ganze 13 der 40 Aktien, also nur 32,5% schlugen den Index. Zudem finden sich unter diesen Aktien vorzugsweise Sondersituationen und defensive Titel, nicht aber das, was man typischerweise als die Herzstücke der deutschen Wirtschaft ansehen würde. Das Ganze paart sich aktuell mit einem relativ hohen Grad an Optimismus, wie er etwa in der Put/Call-Ratio zum Ausdruck kommen.
Die typisch deutschen Unternehmen, etwa die des Maschinenbaus, finden sich bekanntlich zahlreich im MDAX. Um diesen Index, der in der Vergangenheit den DAX über Jahre hinweg locker schlagen konnte, ist es, trotz allgemeiner Börseneuphorie, zuletzt still geworden. Zu Recht, denn der MDAX hat seit dem Jahresultimo 2023 ein Minus von 2,5% hingelegt, wohlgemerkt als Performanceindex, in dem die Dividenden bereits enthalten sind.
An etlichen Anlegern dürfte das tolle Börsenjahr 2024 also einigermaßen spurlos vorbeigegangen sein. Damit Ihnen das nicht auch passiert, empfehlen wir natürlich die Lektüre des Smart Investor. Unser Musterdepot konnte nicht nur mit dem DAX mithalten, es hat durch die Ausnutzung globaler Sondersituationen nahezu die doppelte Performance erreicht. Eine gute Filtermethode ist zudem das Konzept der Relativen Stärke, das Sie nicht nur frühzeitig auf die stärksten Indexkomponenten aufmerksam macht, sondern auch aufzeigt, in welchen Indizes international die Musik spielt. Im Smart Investor veröffentlichen wir hierzu einmal im Monat unsere Tabelle zur Relativen Stärke auf Euro-Basis, die uns beispielsweise zuverlässig aus dem MDAX herausgehalten hat.
Zu den MärktenTrotz dieser kritischen Vorrede zum deutschen Leitindex DAX müssen wir natürlich feststellen, dass eine weitere, zumindest psychologisch wichtige Marke mit Bravour genommen wurde. 20.000 Punkte sind ein Statement, an dem man erst einmal nicht vorbeikommt. Zwei kleine technische Haare in der Suppe gibt es allerdings. Die Geschwindigkeit der Aufwärtsbewegung ist zu hoch, um durchgehalten zu werden. Insbesondere kam der Index nicht gerade ausgeruht an der 20.000er an. Außerdem erfolgte der eigentliche Durchbruch, wie schon der Aufschwung bis dahin, mit Umsätzen, die eher unauffällig sind, keinesfalls jedoch der historischen Bedeutung dieses Ereignisses gerecht werden. Möglicherweise sind derzeit zu viele Hoffnungen auf eine Jahresendrally und eine künftige, wirtschaftskompetente Regierung im Markt? Eine wichtige Feuertaufe für diesen Aufschwung kommt in den ersten Handelstagen des Januars, wenn die Bücher frisch geöffnet werden.
Musterdepots & wikifolio
In der Rubrik Musterdepots & wikifolio finden Sie unsere Updates zu den Musterdepots sowie zu unserem wikifolio „Smart Investor – Momentum“. In der Ausgabe 48/2024 ist zudem die große Monatsübersicht für November 2024 inklusive der erfolgten Transaktion einsehbar. Im Musterdepotbereich können Sie sich durch einfaches Blättern einen schnellen Überblick über die Transaktionen der letzten Wochen verschaffen. Um diesen Bereich lesen zu können, müssen Sie Abonnent des Smart Investor Magazins sein und sich auf der Smart-Investor-Website einloggen. Sollten Sie Ihr Passwort vergessen haben, fordern Sie bitte ein neues bei abo@smartinvestor.de an.
Fazit
Beim DAX lohnt sich ein genauerer Blick auf die Kurstreiber, als Beleg für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik taugt der deutsche Leitindex aber eher nicht.
Ralf Flierl, Ralph Malisch
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Die Charts wurden erstellt mit stock3 und Tai-Pan von Lenz+Partner. Diese Rubrik erscheint jeden Mittwochnachmittag.
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