Von Ralph Malisch, Stellvertretender Chefredakteur des Smart Investor
Am Genuss scheiden sich die Geister. Die einen können gönnen, die anderen nicht – nicht sich selbst, und anderen schon gar nicht. Jeder kennt wohl einen dieser Zeitgenossen, die einem durch ihr ständiges Gemäkel Energie und Lebensfreude rauben. Es sind die Sauertöpfe, die mürrisch am Rande des Lebens stehen und jede Form des Genusses mit einem wohlfeilen Einwand parieren. Das Einzige, womit sie nicht geizen, sind gute Ratschläge und abfällige Kommentare über das Leben der anderen. Gerne wird das als echte Sorge um das Gemeinwohl verbrämt und zeitgeistig verpackt: Aus „unmoralisch“ wurde so im Laufe der Jahrzehnte „ungesund“ und neuerdings „klimaschädlich“. Der Tenor aber ist immer der gleiche.
Dem unbeschwerten Genießer mangle es einfach an jenem tiefen Verständnis für die Probleme der Welt, über das der verkniffene Sauertopf wie selbstverständlich verfügt – vorzugsweise aufgrund der TV-Dauerberieselung, unter der er sein ach so aufgeklärtes Leben verbringt; wobei „verfügt“ ein viel zu schwaches Wort ist. Die Probleme der Welt sind ihm zur zweiten Natur geworden, weil sie so gut zu seiner eigentlichen Natur passen – Passivität, Feigheit und Neid, also all das, was einen gelehrigen und „leichtführigen“ Untertanen ausmacht. Seine einzige Freude ist, wenn der Genießer, der häufig auch ein Erfolgreicher ist, strauchelt, scheitert oder höher besteuert wird – sozusagen als ausgleichende Gerechtigkeit für sein eigenes Phlegma.
Allerdings gibt es auch beim Genuss ein weites Spektrum und ein paar feine Linien: Denn nicht jeder, der raucht, trinkt oder schnelle Autos fährt, ist ein ausgewiesener Kenner. Der Weinbrand am Bahnhofskiosk mag zwar mit einem gewissen Habt-mich-doch-alle-gern-Gefühl gegenüber den Sauertöpfen einhergehen, liegt aber regelmäßig näher an Sucht und Selbstzerstörung als am Genuss ohne allzu viel Reue. „Mäßigung ist der beste Genuss“, wusste schon der griechische Philosoph Epikur. Mitunter verkleidet sich auch bloße Protzerei als Genießertum auf hohem Niveau. Wer die Qualität eines Weines nur anhand der rechten Spalte der Getränkekarte beurteilen kann, mag ein Zahlenkenner sein – ein Weinkenner ist er deshalb nicht.
Doch auch darum geht es beim Genießen streng genommen nicht. Die beifallsheischende Selbstinszenierung des Genusskenners, die in der legendären Fernsehserie „Monaco Franze“ so wunderbar durch die Figur des „Dr. Schönfärber“ verkörpert wurde, ist nämlich nur die Karikatur eines Genießers. Dessen Ausführungen zur „68er Güldene Abtsleite Trockenbeerenspätauslese“ kommentierte „Monaco“ nicht weniger trocken mit dem Satz: „Nicht leicht ein Genuss, von dem man nichts versteht.“ Auch das ist eine Form von Genuss, einem aufgeblasenen Selbstdarsteller ein wenig heiße Luft abzulassen. Der freilich mochte die Sticheleien über Wein und Opernbesuch nicht auf sich sitzen lassen und redete sich in Rage: „Wenn man schon nichts versteht … dann setzt man sich nicht hierher, frech und präpotent und spricht unqualifiziertes Zeug über … eine Sternstunde … Da schweigt man still und hält sein dummes Maul.“ Damit zeigte er vor allem, wie blank die Nerven unter der Kostümierung des Kulturmenschen tatsächlich lagen. Als der wahre Genießer und Lebenskünstler, dessen Leidenschaft allerdings weniger Wein und (Opern-)Gesang als vielmehr dem Weibe galt, erwies sich in dieser Szene Monaco Franze selbst. Und vielleicht ist es auch genau das, warum es beim Genießen geht, um die Kunst zu leben.