Der alte Mann und das „Mehr“

Bild: © Rudolf Schuppler – stock.adobe.com

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Berkshire Hathaway

Börsenlegende Warren Buffett steht mit 93 Jahren weiterhin an der Spitze von Berkshire Hathaway. Buffett hat Fans, er hat Bewunderer – doch haben die berühmten Berkshire-Hathaway-Aktien auch Zukunft? Die besten Zeiten jedenfalls könnten vorbei sein.

„Er war ein alter Mann und fischte allein in einem Boot im Golfstrom, und seit 84 Tagen hatte er keinen Fisch gefangen.“

Ist es der erste Satz aus Hemingways „Der alte Mann und das Meer“, der die Situation am besten charakterisiert, in welcher sich heute Warren Buffett befindet? Der große alte Mann, mittlerweile eine Legende in der Finanzbranche: Er ist das Gesicht von Berkshire Hathaway, der berühmtesten börsennotierten Beteiligungsgesellschaft der Welt. Noch immer trifft der mittlerweile 93-jährige Buffett bei Berkshire die meisten Entscheidungen. Aber sind es auch die besten?

Über Jahrzehnte fischte der legendäre Investor aus dem Marktmeer zuverlässig die größten Fische, auch und gerade bei Sturm. Man denke an die Finanzkrise 2007 bis 2009, da er die Nerven behielt und kaufte, als die Börsen krachten. Seine Kaltblütigkeit bescherte ihm Milliardengewinne.

Zur Jahrtausendwende, als die Dotcom-Blase platzte und Dollarmilliarden an Aktienkapital versenkt wurden, zeigte sich der Berkshire-CEO unbeeindruckt. Er war im Hafen geblieben. Weil er die Geschäftsberichte der frisch an die Börsen gebrachten Aktienfirmen, die von den Chancen dieses neuen Internets schwärmten, bis zum Ende gelesen hatte: Dort hinten waren die operativen Verlustzahlen in kleiner Schrift abgedruckt …

Glorreiche Vergangenheit
Doch das sind Geschichten aus glorreicher Vergangenheit. Zuletzt waren es kleinere Fische, die dem alten Mann ins Netz gingen. Waren überhaupt noch nennenswerte Exemplare dabei oder zehrt der Starinvestor aus Omaha vor allem vom Ruhm vergangener Tage?

Darüber gibt normalerweise der Kurs einer Aktie dem Anleger Auskunft. Der liegt bei Berkshire-Hathaway-Aktien der Klasse A (WKN: 854075) um die 560.000 EUR. Die Marktkapitalisierung beträgt 325 Mrd. EUR. Klasse-B-Aktien (WKN: A0YJQ2) notieren im Bereich 370 EUR, die Marktkapitalisierung beträgt 495 Mrd. EUR – insgesamt also ein Börsenwert von rund 820 Mrd. EUR. A-Aktien besitzen ein Stimmrecht, B-Aktien bleibt dieses Privileg verwehrt. Laut Daten aus Capital IQ vom März 2024 besitzt Buffett aktuell 216.637 A-Aktien und damit 38,5% der Stimmrechte – de facto hat er damit die Kontrolle über das Unternehmen. Für Anleger stellt das Stimmrecht der A-Aktie aufgrund der bestehenden Anteilsverhältnisse somit lediglich einen symbolischen Wert dar.

B-Aktien sind optisch günstiger als A-Aktien, ihr Kurswert ist geringer. Damit sind sie für (Privat-)Anleger besser handelbar. Genau dies hatte Buffett im Sinn, als er die B-Klasse 1996 einführte. Während die A-Aktien von Buffett selbst sowie einem Kreis von alten Weggefährten der Investorenlegende gehalten werden, sollten die B-Aktien Berkshire für Privatanleger öffnen. Durch die Stimmrechtskonstruktion und Buffetts Übergewicht bei den A-Aktien bleibt seine Entscheidungsmacht in der Holding unangefochten. Die Kursnotierungen beider Aktienklassen laufen über weite Strecken parallel.

Value Investing ist legendär
Zur Mitte des ersten Quartals 2024 erreichte die Notierung von Berkshire Hathaway einen Rekordstand. Höher notierte die 1955 gegründete US-Holdinggesellschaft nie. Genau das ist das Problem:
Was soll noch kommen?

Der Ausnahmeinvestor aus Omaha und sein 2023 verstorbener Co-Chairman Charlie Munger führten Berkshire Hathaway mit Umsicht, Geschick und dem nötigen Quäntchen Glück in ungeahnte Höhen. Sie machten sich und ihre Aktionäre reich mit günstig erstandenen und lange gehaltenen Beteiligungen an Versicherungen, Banken, Energieversorgern und Logistikern.

Buffetts Anlagestil des Value Investing ist legendär. Doch jetzt kommt dem womöglich erfolgreichsten Anleger der Welt das Alter in die Quere. Er weiß das – und die Aktionäre wissen es. So richtig wahrhaben will es aber keiner. Außerdem hatte der Ausnahme-CEO doch längst eine mögliche Lösung präsentiert. Doppelspitze lautet sie, und die zwei Männer, die sich unter Aufsicht des Altmeisters als Nachfolger etablieren sollen, heißen Greg Abel und Ajit Jain. Sie sind 61 und 72 Jahre alt, erfahrene und erfolgreiche Manager, die seit vielen Jahren für Berkshire arbeiten. Abel ist CEO von Berkshire Hathaway Energy, zusätzlich Vice-Chairman bei Berkshire Hathaway, dort zuständig für das operative Geschäft.

Das Personaltableau, auf welches im Fall des Falles zurückgegriffen werden könnte, ist sogar noch breiter. Beobachter bezeichnen den 62-jährigen Ted Weschler und den 53-jährigen Todd Combs als derzeit einflussreichste operativ tätige Investmentmanager der Holding aus Nebraska. Wobei „einflussreich“ relativ ist: Experten schätzen, dass das Duo derzeit lediglich 5% bis 10% des Berkshire-Portfolios steuern. Auf dem Rest hält der allmächtige CEO weiterhin die Hand. Da fühlt sich mancher erinnert an eine inhabergeführte Kfz-Werkstatt, wo die Junioren mit den frischen Ideen sehnsüchtig darauf warten, dass der Alte endlich ins Austragshäuschen umzieht und sich den Enkeln widmet.

Frische Ideen gesucht
Dabei weiß niemand, ob Weschler und Combs tatsächlich frische und vor allem bessere Ideen als ihr Chef haben. Auf jeden Fall haben sie einen anderen Stil: Sie legen breiter gestreut an. Zurzeit werden ihrer Betreuung rund 24 Beteiligungspositionen im Berkshire-Portfolio zugeschrieben. Mit DaVita, einem Dialysespezialisten, sowie mit Investments bei Visa und Mastercard lieferte das Duo auch Beweise seines Könnens ab – um allerdings mit einer entschlossenen Beteiligung am Kursminderleister Paramount Global (siehe „Goodbye Paramount Global“ in Smart Investor 6/2023) wiederum Zweifel zu säen. Buffett griff ein, entschied gerade im Mai, sämtliche Paramount-Global-Class-B-Aktien zu veräußern: „Es war zu 100% meine Entscheidung und wir haben alles verkauft und dabei eine Menge Geld verloren.“ Autsch! Zumal, so Marktbeobachter der Financial Times, Weschler und Combs in den vergangenen Jahren bei der Rendite häufiger ins Hintertreffen gerieten, sowohl gegenüber dem amerikanischen Blue-Chip-Index S&P 500 als auch im Vergleich zum konzentrierten Portfolio ihres Chefs.

Dessen vorletzte große Investmenttat war die Beteiligung an Apple. Immerhin waren es wohl Weschler und Combs gewesen, die ihrem Boss 2016 geraten hatten, bei Apple einzusteigen. Er folgte dem Rat zögernd. Der Apple-Erfolg der nächsten Jahre zog die Berkshire-Performance hinauf. Noch immer hält Berkshire geschätzt 790 Mio. Apple-Aktien im Wert von rund 135 Mrd. USD. Das ist ein Rückgang um 22% gegenüber den 174 Mrd. USD, welche die Apple-Position Ende 2023 betrug und zu dem Zeitpunkt fast 50% des Holdingportfolios ausmachte. Mit dem Kurs von Apple geht es seit Sommer 2023 nicht mehr recht voran. Bedenklicher noch: Wenn es bei Apple mal vorangeht wie jüngst Anfang Mai, da Apples Quartalszahlen von der Anlegergemeinde mit einem Seufzer der Erleichterung und einem Tageskursgewinn von 6% aufgenommen wurden, da profitiert Berkshire Hathaway kaum. Genau so – im harten Kursgeschehen – zeigt sich die Skepsis des Markts gegenüber dem traditionsreichen Investmentkonglomerat.

Lukrative Kaufgelegenheiten bleiben rar
Die letzte hervorstechende Anlageidee Buffetts war die Entdeckung des japanischen Aktienmarkts. Dort beteiligte er sich im vergangenen Jahr u.a. an mehreren Handelshäusern – weiterhin jedoch sitzt Berkshire auf viel Cash. Der US-Vermögensberater Charlie Bilello hat nachgezählt: Es seien zum Ende des letzten Jahres atemberaubende 168 Mrd. USD gewesen.

Lukrative Kaufgelegenheiten bleiben eben rar, meint Buffett. Immerhin bereiten neben den neuen Japaninvestments auch die US-Beteiligungen an Bank of America, American Express, Coca-Cola und Chevron derzeit Freude. Zieht man den S&P 500 als Maßstab heran, so schlug Berkshire diesen im ersten Quartal 2024 mit einem Wertzuwachs von 12%. Der S&P 500 erzielte beachtliche 8%, aber Berkshire war besser.

Seit dem Ende des Quartals jedoch laufen die Notierungen der Berkshire-Papiere seitwärts. Der Vermögensverwalter Felix Schleicher aus München versucht eine Erklärung. Die berühmte US-Holdinggesellschaft sei schlicht überbewertet. Der Markt merke das langsam, habe die Überbewertung aber noch lange nicht komplett eingepreist. Dazu kommt, so Schleicher: „Buffett ist ein Sturkopf. Er führt Berkshire als One-Man-Show.“ Der Ausnahmeinvestor hat ein Faible für die große Bühne entwickelt und registriert durchaus, dass er in Teilen der Finanzweltöffentlichkeit als „Orakel von Omaha“ den Status eines Gurus erreicht hat.

Ein neuer Nachfolgekandidat
Der verstorbene Charlie Munger, selbst eine Legende, ließ seinem Kompagnon bei öffentlichen Anlässen gern den Vortritt. Wie Buffetts ebenso ambitionierte wie in seinem Schatten stehende Manager Abel und Jain das sehen, ist unbekannt. Die beiden werden sich hüten, öffentlich Kritik zu üben.

Zumal Abel von Buffett einen frischen Gunstbeweis erhielt. Der Dauer-CEO bezeichnete Abel als seinen möglichen Nachfolger. Er tat das in denkbar offizieller Umgebung, nämlich während der jährlichen Zusammenkunft von Berkshire-Anteilseignern in Omaha, US-Bundesstaat Nebraska, im Mai dieses Jahres. Zudem platzierte er Abel auf dem Podium direkt an seiner linken Seite. Ansonsten war eigentlich alles wie immer: eine Buffett-Show mit einem glänzend aufgelegten CEO, der Anekdoten und Gewinnmeldungen aus dem Ärmel schüttelte. Genau so liebt es das wohlsituierte Publikum.

Verkäufe zum ungünstigsten Zeitpunkt
Wenn nur, wie gesagt, das Alter nicht wäre. Vermögensprofi Schleicher: „In der Corona-Krise hat Buffett überraschenderweise überhaupt nichts gekauft, trotz fantastischer Gelegenheiten. Er war offenbar starr vor Schreck, und das mit über 100 Mrd. USD in Cash. Vor zehn Jahren wäre ihm das wohl nicht passiert.“

Zudem habe Buffett während der Corona-Krise, also zum ungünstigsten Zeitpunkt, alle seine Airline-Beteiligungen veräußert: Delta Air Lines, American Airlines, South-west Airlines, United Airlines … „Teilweise mit Kursverlusten von 40%“, so Schleicher, der als Alternative zu Berkshire Hathaway auf die in Hongkong beheimatete CK Hutchison Holdings (WKN: A14QAZ) hinweist. Hutchison steht ähnlich wie Berkshire unter Einfluss des Eigentümers. Unternehmensgründer Li Ka-shing hält 30% der Aktien. Aber die kleinere Hutchison ist günstiger bewertet als Berkshire. Sie ist in der breiten Öffentlichkeit unbekannter, Li Ka-shing sucht nicht die große Bühne.

Wo die Schnäppchen sind
Wie auch immer man zu Hutchison stehen mag – als Maßstab ist die Holding ideal. Sie verfolgt ein ähnliches Geschäftsmodell wie Berkshire. Im Vergleich der Kennzahlen wird die Überbewertung von Buffetts Gesellschaft aber deutlich und die Seitwärtsbewegung des Kurses verständlich. So liegt das Verhältnis von Börsenwert zu Buchwert (KBV) für Berkshire Hathaway im Jahr 2023 bei 1,54, was für eine Beteiligungsgesellschaft ziemlich hoch ist. Entlastend muss dazu gesagt werden, dass die nicht börsennotierten Beteiligungen nur zu den Einstandskursen bilanziert sind. Bei CK Hutchison liegt das Verhältnis nicht einmal bei einem Fünftel, nämlich bei 0,27, was für eine Beteiligungsgesellschaft ziemlich niedrig ist. So gesehen erscheint Hutchison als unterbewertet, Berkshire eher als überbewertet.

Investoren streben oft danach, gute Unternehmen mit möglichst niedrigen KBV ausfindig zu machen. Buffett sagte einmal, er halte Berkshire Hathaway für kaufenswert bei einem KBV von 1,2. Dass diese Marke für ihn heute noch Bedeutung hat, lässt sich jedoch bezweifeln: Immerhin kaufte er zuletzt auch zu deutlich höheren KBVs die eigene Aktie zurück, was darauf hindeutet, dass er selbst auf dem aktuellen Niveau eine Unterbewertung vermutet. Allerdings hat er das Volumen der Rückkäufe im Vergleich zu 2021 deutlich reduziert; ein Indiz dafür, dass er den Discount zum inneren Wert heute deutlich geringer eingeschätzt als noch vor drei Jahren. Das schmälert die Lebensleistung des Ausnahmeinvestors und Berkshire-Chefs in keiner Weise. Im Gegenteil – er hat die Holding von bescheidenen Anfängen heraus über Jahrzehnte auf fantastische Kurshöhen geführt.

Jetzt ist Berkshire Hathaway kein Schnäppchen mehr. Der Kauf einer solchen ambitioniert bewerteten Aktie mag zwar die Beteiligung an einem hervorragenden Unternehmen ermöglichen, jedoch ist das Kurspotenzial möglicherweise weitgehend ausgeschöpft, da die Aktie im Verhältnis zum Unternehmenswert als hochpreisig angesehen werden kann. Anders gesagt: Derzeit zahlt ein Käufer für die Weltmarke Buffett womöglich einen Aufschlag, der die erhoffte Rendite einschränken kann.

Fazit
Hinzu kommt das Schlüsselpersonenrisiko, welches bei großen Aktiengesellschaften ähnlich deutlich nur bei Tesla mit Ausnahmeunternehmer Elon Musk zu sein scheint. Sollte Berkshires CEO, der im August seinen 94. Geburtstag feiern möchte, versterben, könnte es seine Holding bis ins Mark erschüttern. Das angenommene Aufgeld, das Anleger Berkshire aufgrund des berühmten Mannes an der Spitze zubilligen, verflüchtigte sich innerhalb von Sekunden.

Der Kurs als geldgewordener Ausdruck der Marktintelligenz scheint die geschilderten Probleme bei der Aktie zu ahnen – darum dümpelt er dahin. Die jungen, unternehmungslustigen Renditefischer sind weitergezogen, sie wollen mehr. Andernorts locken ertragreichere Fanggebiete.

 

 

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