Der kranke Mann Europas

Titelbild: © iuricazac – stock.adobe.com

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Deutschland steht sich selbst im Weg

Krise oder bewusstes „Degrowth“?!

Die klassische „Deutschland AG“, jenes Netzwerk aus Banken und Industrieunternehmen, das lange Zeit als Erfolgsmodell galt, gibt es schon lange nicht mehr. Danach hat sich die deutsche Wirtschaft zwar neu erfunden, doch inzwischen ist die einstige Konjunkturlokomotive des Kontinents aus dem Tritt gekommen. Im Jahr 2023 ist die deutsche Wirtschaft – als einzige unter den Industrienationen! – um -0,5% geschrumpft. Entweder manifestieren sich hier bereits grüne „Degrowth“-Fantasien, weil deutsche Politik auch bei dieser Agenda Musterknabe sein will, oder das Land befindet sich ungewollt in einer handfesten Wirtschafts- bzw. Strukturkrise. Für letzteres spricht, dass sich die Regierung zumindest Gedanken macht, wie sie den Karren wieder flottmachen könnte. Der grüne Wirtschaftsminister Habeck favorisiert ein „Sondervermögen“, also neue Schulden, um damit anschließend Subventionen an Unternehmen zahlen zu können. Auf diese Weise erhöht sich die Abhängigkeit der Unternehmen vom staatlichen Tropf noch weiter. Das ist nicht nur ökonomisch unsinnig, wie Finanzminister Lindner kritisiert, es ist auch ein gefährlicher Weg: Denn je größer der Anteil der Wirtschaftsleistung ist, der zunächst vom Staat per Steuern und Abgaben eingesammelt wird, um dann nach politischem Gutdünken wieder verteilt zu werden, desto stärker wird die unternehmerische Freiheit zu Gunsten staatlicher Vorgaben zurückgedrängt. Für manchen „Gottspieler“ ist das kein unerwünschter Nebeneffekt, sondern das eigentliche Ziel.

Eine Regierung, drei Meinungen

Da wäre es nur konsequent, dass Wirtschaftsminister Habeck den von Justizminister Buschmann versprochenen Bürokratie- und Regulierungsabbau blockiert. Überhaupt gehen die Risse quer durch die Koalition: Die geplante Strategie zur Bewältigung von Dunkelflauten durch Wasserstoffkraftwerke wurde von Scholz und Lindner vereitelt. Lindner strebt die Abschaffung des Solidaritätszuschlags an, während SPD und Grüne dagegen sind. Die Hauptprotagonisten – Lindner und Habeck – beharken sich derweil vorzugsweise auf Distanz per Interviews und Fernsehauftritten. In der Frage, ob Unternehmen steuerlicher Entlastung bedürfen, sind sich beide oberflächlich sogar einig, im Detail freilich nicht. Von Steuerentlastungen für Unternehmen will Kanzler Scholz dagegen nichts wissen. Der unterscheidet stattdessen feinsinnig zwischen „guten“ und „schlechten“ Schulden und versuchte ein Machtwörtchen mit Verweis auf das Wachstumschancengesetz, das aktuell im Vermittlungssauschuss zerredet wird. An welcher der vielen Sollbruchstellen die Ampel letztlich auseinanderfällt, oder ob sie sich doch noch über die komplette Legislatur schleppen wird, ist derzeit offen. Sollte der Versuch gelingen, den Auftrieb der Opposition durch landesweite Demos zu stoppen oder gar umzukehren, wird der Koalitionsbruch wahrscheinlicher. Im Moment hätte aber keine der Regierungsparteien etwas durch Neuwahlen zu gewinnen.

Die Welt, in der wir leben

ESG war gestern. So ehrbar manches, aber längst nicht jedes Motiv dahinter gewesen sein mag, so obsolet erscheint das Thema, wenn man auf die aktuellen Börsenstars blickt. Rüstungsaktien wie Rheinmetall haben vielen jener Unternehmen den Rang abgelaufen, die auf teuer bezahlte Bestnoten bei den ESG-Ratings verweisen können. Der Gedanke ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass der ESG-Hype über die Jahre zu einem „overcrowded trade“ geworden sein könnte. Zu viele Anleger sind bereits investiert, zu wenige neue Anleger lassen sich davon noch überzeugen. Seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs scheint die Welt ohnehin andere Probleme zu haben. Kein Tag mehr, ohne Kriegsrhetorik – eine Rhetorik, die nicht ohne Folgen bleiben wird. Nicht nur alten Lateinern ist das Motto „Si vis pacem para bellum“ („Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor“) geläufig. Den laut gedachten Angriffsszenarien muss also kein heißer Krieg folgen, die Rüstungsbranche macht dennoch ihren Schnitt. Denn auch die Vorbereitung eines Krieges, der nicht stattfindet, kostet Unmengen an Geld. Die Gewichte in der Wirtschaft werden sich daher weg von der Friedensdividende verschieben. Das muss allerdings nicht gleich eine Umstellung auf „Kriegswirtschaft“ sein, wie von einigen nassforschen Abgeordneten bereits gefordert wurde. Gerade als Börsianer sind wir aber gut beraten, uns auf solche geänderten Verhältnisse einzustellen. Für den Börsenerfolg ist nicht entscheidend, welche Welt wir uns wünschen, sondern in welcher Welt wir leben. 

RENK rollt

Entsprechend erfolgreich war der zweite Anlauf des Antriebstechnikherstellers RENK („Panzer-Zulieferer“) für seine Rückkehr an die Börse – diesmal im Rahmen einer Privatplatzierung. Der erste Handelstag auf dem Frankfurter Börsenparkett verlief erfolgreich, mit einem Eröffnungskurs von 17,50 EUR pro Aktie, +16,67% gegenüber dem Ausgabepreis. Die im Rahmen der Platzierung angebotenen Aktien stammen aus dem Bestand des Finanzinvestors Triton, der Mehrheitseigentümer bleibt. RENK ist führend in hocheffizienter Antriebs- und Steuertechnik für Fahrzeuge, Schiffe und Maschinen. Zusätzlich zu diesen Kernbereichen stellt das Unternehmen auch Prüfsysteme, Gleitlager und Kupplungen her, mit denen es Kunden in der Verteidigungs-, Energie- und Industriebranche bedient. Ursprünglich war die Rückkehr an die Börse für Oktober 2023 geplant, wurde jedoch aufgrund eines ungünstigen Marktumfelds abgesagt. RENK verzeichnete im ersten Halbjahr 2023 ein Umsatz- und Gewinnplus und erwartet weiteres Wachstum, unterstützt durch starke Quartalszahlen und eine nachhaltige Auftragslage. CEO Susanne Wiegand betonte die Relevanz und die Nachfrage nach ihren Produkten sowohl im Verteidigungs- als auch im zivilen Bereich.

Nachhall oder Vorbote?

Die Aktie der New York Community Bancorp (NYCB) verliert erneut dramatisch an Wert. Am Dienstag war sie um weitere -22% eingebrochen. Dies markiert den vierten von fünf Handelstagen mit zweistelligen prozentualen Kursverlusten. Besonders gravierend war das Abwärts-Gap vom vergangenen Mittwoch mit knapp -38% als Reaktion auf überraschend schlechte Quartalszahlen. Damit hat das Papier seit Ende Januar bereits etwa -60% an Wert eingebüßt. Der Schlusskurs vom Dienstag ist der niedrigste seit mehr als 26 Jahren. Die Bank vermeldete letzte Woche einen unerwarteten Verlust und eine radikale Dividendenkürzung. Ursächlich sind Rückstellungen für gefährdete Kredite auf Gewerbeimmobilien. Nach Gesprächen mit der zuständigen Regulierungsbehörde OCC stufte Moody’s die Bonität des Instituts auf „Junk“ herab. Zwar äußerte sich US-Finanzministerin Janet Yellen besorgt zu den Verlusten bei Gewerbeimmobilien, betonte aber in einer Kongressanhörung, dass im Finanzsystem ausreichend Liquidität vorhanden sei – das klassische Glätten der Wogen also, das von einer Finanzministerin in einer solchen Situation auch nicht anders zu erwarten war. Für Anleger stellt sich allerdings die Frage, ob wir hier bereits die Vorboten einer neuen Bankenkrise sehen, denn Probleme am Markt für Gewerbeimmobilien werden nicht allein die NYCB betreffen.

Zu den Märkten

Angesichts der beschriebenen Rahmenbedingungen ist es durchaus verwunderlich, dass der DAX am Dienstag ein weiteres Allzeithoch erreichen konnte. Die Umsätze waren ordentlich, wenn auch nicht überschäumend. Trotz leichter Kursrückgänge zum heutigen Redaktionsschluss hält sich der deutsche Leitindex weiter oberhalb der magischen Marke von 17.000 Punkten. Auffällig ist, dass die Kursentwicklung schon seit knapp zwei Wochen echte Dynamik vermissen lässt – obwohl in dieser Zeit insgesamt vier Allzeithochs auf Schlusskursbasis erzielt werden konnten.

Was aber treibt den DAX? Die Geldpolitik ist weiter restriktiv und lastet damit auf den Märkten. Den Hoffnungen auf eine baldige Zinssenkung erteilte Fed-Chef Powell für die USA erst letzte Woche sogar eine Absage. Die Zinssenkung ist damit zwar nicht aufgehoben, aber doch aufgeschoben. Ein genauerer Blick zeigt, dass – hüben wie drüben – vor allem einige wenige Schwergewichte den Markt treiben. In Deutschland ist dies beispielsweise der Softwaregigant SAP, der zusätzlich von einer Erhöhung der Kappungsgrenze im Index profitiert. Bislang lag diese bei einer Gewichtung von 10%, ab dem 18. März wird sie auf 15% angehoben werden. Indexorientierte Anleger werden ihre Anteile entsprechend den neuen Gewichten aufstocken müssen. Gesund ist diese Entwicklung, die aus den USA hinlänglich bekannt ist, nicht. Wenn nur wenige Zugpferde den Markt stützen, fehlt es nicht nur an Marktbreite, ein solcher Aufschwung ist auch besonders verletzlich. Tatsächlich spiegelt sich im DAX sogar etwas von der eingangs beschriebenen Schwäche Deutschlands, auch wenn die Pleiten der Klein- und Mittelunternehmen in einem Blue-Chips-Index natürlich nicht direkt sichtbar sind. Dennoch konnte der DAX im Vergleich zu seinen US-amerikanischen Gegenstücken zuletzt nicht annähernd mithalten.

Musterdepots & wikifolio

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Fazit

Deutschland entwickelt sich immer sichtbarer zum neuen kranken Mann Europas. Die Regierung scheint dagegen keine Rezepte zu haben, genauer gesagt, die roten, grünen und gelben Köche haben zu viele Rezepte, flüchten sich in faule Kompromisse und verderben den Brei noch weiter.

Ralf Flierl, Ralph Malisch

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Die Charts wurden erstellt mit stock3 und Tai-Pan von Lenz+Partner. Diese Rubrik erscheint jeden Mittwochnachmittag.

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