„Wir befinden uns in einer Extremsituation“

Thomas Käsdorf

ARTIKEL TEILEN

Facebook
Twitter
LinkedIn
Email

Interview

Smart Investor im Gespräch mit Thomas Käsdorf, Plutos Vermögensverwaltung AG, über gebrochene Trends, Favoritenwechsel am Aktienmarkt und einen digitalen Euro

Smart Investor: Herr Käsdorf, die Anleger sind mit stark steigender ­Inflation, niedrigem Wachstum, Zinserhöhungsdebatten und einem Krieg in Europa konfrontiert. Welche Konsequenzen ergeben sich aus Ihrer Sicht daraus für den Aktienmarkt?
Käsdorf: Vor rund einem halben Jahr hatten wir an den wichtigen Aktienmärkten Allzeithochs, begleitet von hohen Bewertungen, starkem Optimismus und Rekordliquidität. Sechs Monate später leben wir nun in einer anderen Welt, die von verstärk­ten Liefer­kettenproblemen, ­explodierenden Rohstoffpreisen, hoher und dauerhafter In­flation sowie geopolitischen Auseinanderset­zungen zwischen Russland und den USA gekennzeichnet ist. Mit Blick auf die Sanktionen ge­gen Russland habe ich den Eindruck, dass die Maßnahmen, die hauptsächlich Deutschland und Europa treffen, darauf abzielen, diese zu schwächen. Aus Investorensicht muss man darauf achten, wie die neue Situation ver­arbeitet wird. Das ist mit Risiken, aber auch mit Chancen verbunden. Am Aktienmarkt könnte die Folge ein Favoritenwechsel in Branchen und Märkten sein, die vernachläs­sigt wurden und jetzt attraktiv gepreist sind. Ein entscheidender Faktor wird das Vorgehen der Notenbanken und der Politik sein.

Smart Investor: Was erwarten Sie in dieser Hinsicht?
Käsdorf: Die EZB will eigentlich Zinserhöhungen vermeiden. Sie agiert zögerlicher als die Fed und schwächt damit den Euro – letztlich wird sie aber auf die Infla­tion reagieren müssen. Dann haben wir eine schwache Währung und höhere Zinsen. In diesem Szenario ist eine ­Eurokrise wahrscheinlich, weil die südlichen Länder mit den höheren Zinsen überfordert sind. Es könnte aber auch sein, dass die EZB diesen Staaten durch Anleihenkäufe hilft.

Smart Investor: Meist haben politische Börsen kurze Beine. Das könnte mit dem Krieg in der Ukraine anders sein. Welche langfristigen Folgen sehen Sie?
Käsdorf: Wir befinden uns in einer Extrem­situation, die auch dazu genutzt werden kann, Regeln zu brechen. Dadurch wird Vertrauen aufs Spiel gesetzt, das ­essenziell für die Stabilität eines Systems ist. Es ist klar, dass die immensen Schulden nicht mehr verzinst werden können und man sie auf seriöse Weise nicht mehr loswird. Möglicherweise wird man einen großen Cut machen und als Ursache die Corona-Krise und den Ukrainekrieg vorschieben. Wenn sich in Euroland die Vertrauens­krise verstärkt, kann es durchaus sein, dass man die jetzige Währung inflationiert und parallel einen digitalen Euro einführt, der stabil gehalten werden soll.

Smart Investor: Sie hatten in einem Inter­view im November (Smart Inves­tor 1/2022 ab S. 58) bereits frühzeitig zur Vorsicht gemahnt. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation beispielsweise beim DAX aus technischer Sicht?
Käsdorf: Die gute Nachricht zuerst: Der langfristige Trend aus dem Jahr 1982 ist noch intakt. Der mittelfristige Trend wurde aus meiner Sicht im Februar gebrochen. Jetzt kommt es darauf an, zu beobachten, wie lange der mittelfristige Abwärtstrend Bestand hat und wie tief er geht. Wir ­hatten in der Vergangenheit schon ähnliche Trendwen­den, wenn auch nicht in dieser Dimension. Diese wurden allerdings wie von Geisterhand dadurch nach oben aufgelöst, dass man Geld ins System gepumpt hat. Die entscheidende Frage ist, ob es ­diesmal ebenso ist. Ich denke nicht, denn die Fed hat ja klar kommuniziert: Man will die positive Stimmung etwas drücken, um die Wirtschaft abzuflachen, damit die Explosion der Inflation im Griff gehalten werden kann.

Smart Investor: Bei der Anlagestrategie des Plutos Multi Chance (WKN: A0NG24) spielen Relative Stärke und Stopp-Loss-Marken eine wichtige ­Rolle. Wie nutzen Sie den Ansatz konkret und wie sind Sie aktuell aufgestellt?
Käsdorf: Im ersten Quartal 2021 war zu sehen, dass die Nasdaq dreht. Die Pandemiegewinner aus der zweiten Reihe der Techwerte, z.B. Zoom, haben Tops gebildet und sind dann unter die Stopp-Loss-Marken gefallen. Danach wurde konsequent verkauft. Allerdings habe ich die Techaktien aus der ersten Reihe ebenfalls verkauft, obwohl diese noch oberhalb der Stopp-Marken waren – in der Rückschau ein Fehler, denn die hoch gewichteten Favori­ten, etwa Apple und Alphabet, ­­liefen noch ein gutes Stück weiter. Die Folge war, dass sich die Techindizes noch gut gehalten haben, obwohl viele Aktien bereits deutlich Federn lassen mussten. Jetzt erwischt es auch die Techlieblinge. Es bleibt abzuwarten, bis sich der Markt bereinigt und langfristig neue Favoriten auftauchen, die wir heute noch nicht kennen. Als die Techtitel neue Tiefs erreicht haben, sind Rohstoff- und Nahrungsmittelunter­neh­men auf Hochs geklettert. Aber auch in diesen Sektoren kamen die Kurse zurück – ein Anzeichen für eine Top-Bildung am breiten Markt. Das Fondsportfo­lio hat sich lange Zeit recht stabil ­gehalten. Allerdings wurde ich von einer starken Bewe­gung der Rohstoffaktien nach unten überrascht. Die Börse hat hier eine Konjunkturschwäche antizipiert – das hat Performance gekostet, obwohl ich mit ca. 38% einen hohen Cashanteil halte. Im Moment gehe ich für den Sektor nicht von einer Trendumkehr, sondern nur von einer technischen Korrektur aus. Aktuell sind neben unseren Sondersituationen Tudor Gold und Formycon u.a. Nahrungsmittelaktien wie Nestlé oder Edelmetalltitel wie Newmont Mining und Wheaton Precious Metals im Portfolio übergewichtet.

Smart Investor: Herr Käsdorf, vielen Dank für Ihre interessanten Ausführungen.

Thomas Käsdorf ist Mitgründer der Plutos Vermögensverwaltung AG (www.plutos.de) und war 25 Jahre im Vorstand der Gesell­schaft. Seit 2019 konzentriert er sich ausschließlich auf das Fondsmanagement. Er verfügt über mehr als 40 Jahre Erfahrung an den Wertpapier­- und Aktienmärkten. Käsdorf ist seit 19 Jahren Manager des Plutos International Fund und seit 2008 des Mischfonds Plutos Multi ­Chance Fund (WKN: A0NG24). Im Jahr 2018 fusionierten die beiden Fonds zu dem vielfach ausgezeichneten Plutos Multi Chance Fund. Käsdorf ist seit 1994 als unabhängiger Vermögensverwalter tätig.

UNSERE EMPFEHLUNGEN